Brasilienfahrt im Oktober 2010
Meine letzte Reise nach Brasilien lag drei Jahre zurück, so war ich gespannt auf die Veränderungen, die inzwischen stattgefunden haben sollten und den Arbeitseinsatz, den unsere Gruppe tätigen sollte. Den größten Teil der Reise verbrachten wir in Centenario. Von dort aus besuchten wir unterschiedliche Projekte. [….] Da wir eine Gruppe von 19 recht arbeitswilligen Teilnehmern waren, deren vielfältige Fähigkeiten genutzt werden konnten, kamen wir gut voran und schaften es, Außenwände und Fenster des großen Gebäudes und den Innenraum der Sporthalle zu säubern und anzustreichen sowie die Außenanlagen teilweise neu zu gestalten. Wir konnten uns von der sinnvollen Nutzung des Gebäudes überzeugen, als der Fußballverein „Friburguense“ sein Training dort veranstaltete und so durch Kinder des Kinderdorfes und der Umgebung wieder Leben stattfand. Ein paar Tage später informierten wir uns in Friburgo über weitere sportliche Aktivitäten und über die soziale Arbeit des Vereins. Der Verein will in Centenario Sportplätze errichten, um seine Arbeit dort auszuweiten. Die Unterzeichnung eines Vertrages mit einer Hotelfachschule fiel ebenfalls in die Zeit unseres Besuches. Sie soll ebenfalls im Gemeinschaftszentrum untergebracht werden und ermöglicht Jugendlichen des Kinderdorfes und der Umgebung eine Ausbildung und damit zukünftig eine Arbeitsstelle zu bekommen. Beim Besuch des Bischofes in Centenario, der es sich nicht nehmen ließ, gemeinsam mit seinen Begleitern, den deutschen Besuchern und den Kinderdorfbewohnern nach einer Messe im Haus Marlenes und Sirleys am Abendessen teilzunehmen, wurde klar, dass dieser unsere Arbeit unterstützt [….]
Natürlich habe ich mein Patenkind David besucht. Er ist – auf Betreiben der Präfektur – reintegriert worden, lebt mit seiner Mutter und drei Geschwistern in einer etwas beengten kleinen Wohnung in einemStadtviertel, das ich jedoch nicht mehr als „Favella“ bezeichnen würde. Allerdings ist sie der Familie nur vorübergehend von einer Bekannten zur Verfügung gestellt worden. Was danach geschieht, ist ungewiss. [….] Vielleicht schafft es die Familie mit Hilfe unseres Sozialarbeiters Alex und der Unterstützung von Kinderdorf, den Weg in ein besseres Leben zu gehen. Im Gegensatz zu dieser Familie, die vielleicht den ersten Schritt in eine bessere Zukunft schon getan hat, haben andere Teilnehmer der Gruppe sowie ich selbst auch Kinder gesehen, die in menschenunwürdigen Verhältnissen […] Die Kinder und Jugendlichen leben in armseligen Häusern, die Eltern, sofern sie beide noch leben, oder -oft- die allein erziehende Mutter ,können sich nicht um sie kümmern, weil sie krank, arbeitslos sind oder mit kleinen Jobs zu wenig verdienen. Die Kinder und Jugendlichen würden z.T. gern ins Kinderdorf zuückkehren. Die Zukunft dieser Kinder und Jugendlichen ist eher düster. Sie verdienen unsere Unterstützung. Ähnliche Missstände sahen wir auch in der Favela „Contorno“ von Petropolis. Dort sind auch Kindesmissbrauch sowie Drogenmissbrauch an der Tagesordnung , wobei sich beide Phänomene bedingen. Wir erfuhren von jugendlichen Müttern, die ihre Kleinkinder zum Missbrauch anbieten, um sich Geld für Drogen zu besorgen. Die größtenteils ehrenamtliche Arbeit von überwiegend Frauen im Gemeindezentrum ist beeindruckend. Auch hier ist Hilfe dringend nötig, um Kinder aus Risikosituationen herauszuholen und Bewusstseinsarbeit zu betreiben. Das Gemeindezentrum bietet Aktivitäten für Kinder und Jugendliche an, um sie von der Straße zu holen, materielle Hilfe (z.B. Kleidung) und ärztliche Versorgung. Kinderdorf unterstützt die Gemeindearbeit. Ein weiteres Projekt, das Kinderdorf unterstützt, haben wir in einem Vorort von Rio besucht. Aufgrund einer riesigen Überschwemmung haben viele Menschen ihr Leben oder ihre Bleibe verloren. Die Kirchengemeinde bot ihre Räumlichkeiten an, um Überlebende aufzunehmen. Überlebende berichteten uns mit stockender Stimme von der Katastrophe. Wir durften Häuser besuchen, deren Bewohner uns die Schäden zeigten und ihre Erfahrungen schilderten. Während wir den Berichten oft mit einem Kloß im Hals folgten, berührte uns immer wieder die Haltung der Menschen, die trotz allem das Lachen nicht verlernt hatten. Kinderdorf hat durch eine Soforthilfe dazu beigetragen, die Not der Kinder und Jugendlichen in diesem Überschwemmungsgebiet zu lindern.
Ein anderes Projekt, an dem Kinderdorf beteiligt ist, befindet sich in der“ Favela“, in der unsere langjährige Freundin Terezinha seit vielen Jahren arbeitet. Auch hier zeigt sich, dass sich der Einsatz für Kinder und Jugendliche lohnt. Ein Musiklehrer hat eine Band gegründet, die sich durch verschiedene Auftritte Geld verdient und ihre Musik auch auf CD aufnimmt. Im Gemeindezentrum ist es gelungen, ein kleines Tonstudio einzurichten. Eine große Halle, die früher von der Drogenmafia genutzt wurde, steht jetzt der Gemeinde für Veranstaltungen zur Verfügung. Solche Beispiele machen Mut und bestätigen den sinnvollen Einsatz materieller Hilfe. In Banquete erlebten wir die Einweihung des Übergangshauses. Die Präfektur hat die Gebäude renoviert und nutzt einen Teil als Übergangshaus. Somit wird per Vertrag mit der Präfektur das Kinderdorf Banquete sinnvoll genutzt, wobei die Präfektur für die Erhaltung des Gebäudes verantwortlich ist. Der Präfekt steht uns sehr wohlwollend gegenüber. Er dankte uns für die geleistete Arbeit und die Unterstützung, die wir aufgrund unserer Erfahrung mit der Reintegrierung von Kindern gewähren können. Wir besichtigten die neue von der Präfektur erbaute Schule, die perfekt ausgestattet ist. Sie ersetzt jetzt die vorher im Kinderdorf Banquete eingerichtete Schule. Eine Professorin der Sozialpädagogik, Patricia, lud uns zu einer Info-Veranstaltung an der Universität von Rio ein, in der sich Studenten mit der Problematik der „Favelas“ auseinandersetzten. Dabei wurden die Erfahrungen von Kinderdorf in der Begleitung bei der Reintegrierung von Kindern dargestellt und diskutiert. Es zeigte sich, dass unser Besuch besonders von den Professoren als Wertschätzung ihrer Arbeit angesehen wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die Beschäftigung der Studenten mit dieser Problematik in der Zukunft positive Auswirkungen auf die Situation der „Favelas“ hat. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Begriff „Favela“ immer öfter durch den Begriff „comunidade“ ersetzt wird. In Friburgo wurden wir vom deutsch-brasilianischen Verein eingeladen, der uns köstlich bewirtete und uns Tanzdarbietungen junger Leute bot[…]
Natürlich fehlte neben dem Besuch von Projekten bei unserem Aufenthalt auch nicht der Besuch typischer Sehenswürdigkeiten des Landes, insbesondere Rios, was den Facettenreichtum des Landes darlegt. Hoffen wir, dass Kinderdorf Rio durch seine Unterstützung dazu beitragen kann, dass möglichst viele brasilianische Kinder und Jugendliche die Chance bekommen, die positiven Seiten ihres insgesamt schönen Landes eines Tages zu genießen.
Roswitha Hüppe - ter Braak